Historisches Lernen & Menschenrechte
Nationalsozialismus und Menschenrechte – der Schmuggelfund als Appell an die Menschlichkeit
Mit dem Projekt, gefördert von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", ist das Ziel verbunden, ein Lernen über Nationalsozialismus und Holocaust mit einer Auseinandersetzung mit den Menschenrechten, insbesondere mit dem Begriff der Menschenwürde, zu verbinden. Der Weg dahin führt über das Lernen, was Menschenrechtsverletzungen überhaupt sind und sein können und was das Kämpfen um Menschenwürde in diesem Zusammenhang bedeutet.
Annäherung an Menschenrechte
Die Beantwortung der Fragen, welche Bedeutung den historischen Erfahrungen zukommt und welche Bedeutung die rechtliche Lage hat, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formuliert ist, kann nicht mit eindeutigen Rezepten für den Unterricht beantwortet werden. Wir halten jedoch eine Annäherung an die Menschenrechte mit Mitteln der Kunst und eine am Subjekt ansetzende aktive Erinnerungsarbeit für einen viel versprechenden Anfang. Das Wahrnehmen von Menschenrechtsverletzungen aus heutiger Perspektive und der damalige Umgang mit Entwürdigung und grausamer Behandlung, wie er sich in den Dokumenten des Schmuggelfundes als unglaubliche Selbstbehauptung, ja als Widerstand darstellt, führt unweigerlich zu der Frage, was aus der eigenen Empörung und dem gewonnenen Wissen folgen könnte.
Jugendliche brauchen (ebenso wie Erwachsene) Zeit und einen Gesprächsraum – die Erlaubnis, sich selbst ein Bild über die historische Zeit des Nationalsozialismus machen zu dürfen. Die Fragen nach den Menschenrechten damals und heute entwickeln sich dann aus dem historischen Lernen, und zwar umso folgerichtiger, je mehr zunächst die persönliche, lebensweltliche Verortung sichtbar werden durfte.
Menschenwürde
Die Projektmappe kreist um die Frage, in welchem Verhältnis Menschenrechtsverletzungen zur Menschenwürde stehen, und stellt verschiedene Antworten zur Diskussion. Die hier entwickelten Bausteine sollen argumentieren helfen, inwiefern sich die Verletzung der Menschenwürde unter KZ-Bedingungen eklatant von der Verletzung der Menschenwürde im Klassenzimmer unterscheidet. Erfahrbar werden soll aber auch, dass die Definition dessen, was die eigene Menschenwürde verletzt, immer eine sehr subjektive Dimension hat; entsprechend können die Antworten verschieden ausfallen. Was Menschenwürde und ein menschenwürdiges Leben eigentlich ausmachen, soll gleichwohl genauer und allgemein verbindlich bestimmt werden können.
In der kreativen Auseinandersetzung mit den historischen künstlerischen Zeugnissen kann das eigene Subjekt in einen Dialog auf Augenhöhe treten. Fragen, die dabei auftauchen, zielen einerseits auf die Ähnlichkeiten im individuellen Erleben von Entwürdigung, Benachteiligung, von Ohnmacht, von diskriminierenden Arbeitsverhältnissen, von Gewalt und von Rachegefühlen sowie den Kontinuitäten von Ausgrenzung. Andererseits geraten strukturelle Unterschiede von heute zu damals in den Blick und damit die veränderten Möglichkeiten des aktiven Handelns im menschenrechtlichen Sinn.
Lernen durch die Menschenrechte
In den verschiedenen Rahmenlehrplänen der Bundesländer spiegelt sich das Bedürfnis nach Unterrichtskonzepten, die gerade dieses geschichtliche Feld von „Diktatur und Demokratie“ mit der Frage danach verknüpfen, was aus den Menschenrechtsverletzungen gelernt werden kann und soll. Im Blick auf das Recht auf Bildung und eine menschenwürdige Lernatmosphäre sind wir überzeugt davon, dass das Lernen über die Menschenrechte nur gelingt, wenn Methoden zum Einsatz kommen, bei denen auch ein Lernen durch die Menschenrechte stattfinden kann. Ergebnisoffene Prozesse sollten in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit gestellt werden, ohne dabei wertfrei zu sein.
Es liegt auf der Hand, dass diese Werte und Haltungen, wie sie in den Menschenrechten zum Tragen kommen, nicht durch deren Deklamation vermittelt werden können, so wenig wie durch eine Art additives Verfahren, bei dem zusätzlich zum historischen Lernen eben auch noch etwas über Menschenrechte gelernt werden soll. Vielmehr müssen Rechte wie Meinungsfreiheit, das Recht auf Bildung etc. im pädagogischen Prozess auch auf der Beziehungsebene erfahrbar werden.
Pädagogik der Anerkennung
Die Entwicklung von Studientagen für die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz für Hauptschüler/innen, für Gruppen mit besonderen Bedürfnissen, machte uns deutlich, wie hilfreich es ist, einen möglichst flexiblen Baukasten an der Hand zu haben. Dieser muss, neben einem binnendifferenzierten Leistungsanspruch, vor allem einer "Pädagogik der Anerkennung" folgen. Damit ist nicht nur eine Wertschätzung der mitgebrachten Sensibilität für Unrechtserfahrungen gemeint oder eine Ermutigung zum Argumentieren und zum respektvollen Umgang mit anderen. Gemeint ist damit ein Lernprozess, der ein wechselseitiges Zur Kenntnis-Nehmen von Differenz, eine Form identifizierender Wahrnehmung ermöglicht, eine Selbst-Anerkennung, die sich letztlich in Strukturen der Anerkennung durch andere entwickelt (vgl. Paul Mecheril 2002).
Empowerment als Prozess
Wir stehen einer Menschenrechtsbildung kritisch gegenüber, die Nationalsozialismus und Holocaust als extreme Beispiele heranzieht, um den Segen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu preisen, deren Existenz mit dem Holocaust zu begründen, und möglichst noch in derselben Unterrichtseinheit erwartet, dass Jugendliche unverzüglich für die Menschenrechte aktiv werden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist nicht die endgültige, rechtsverbindliche Antwort auf die Gräuel des Zweiten Weltkrieges.
Die Geschichte der Menschenrechte selbst fängt weder 1948 an, noch hört sie damit auf. Allein der oberflächliche Blick auf die aktuelle Politik der EU oder auf die menschenrechtlichen Verträge weltweit macht deutlich, dass es darauf ankommt, wie die Menschenrechte ihre Wirkung entfalten können. Es wird schnell offenbar, wie sehr dies als ein Prozess gedacht werden muss, der vom Individuum und seinen unverbrüchlichen Rechten ausgeht, jedoch in ein Staatsgefüge implementiert, völkerrechtlich kodifiziert und in seiner Umsetzung moderiert und überprüft werden muss. Was auf der strukturellen, politischen Ebene ein Prozess ist, kann sich auch auf der individuellen Ebene nicht als plötzliches Wunder an menschenrechtlichem Engagement offenbaren. Dennoch hoffen wir, mit dieser Projektmappe die nachwachsenden Generationen dafür zu sensibilisieren, dass die Menschenrechte ihre Achtung und ihren Schutz brauchen, und sie zu motivieren, das Bemühen um ein menschenwürdiges Leben – das eigene wie das der anderen – alltäglich mitzugestalten.