Paarkartenspiel
Gedichte, eine Zeichnung und eine Miniaturschnitzerei, gefertigt aus einem Zahnbürstengriff: Das Besondere am Schmuggelfund aus Ravensbrück ist, dass er Kunst enthält, nicht nur Dokumente. Aus Briefen geht hervor, dass die Zeichnung und die Schnitzerei keine Einzelbeispiele sind, sondern auch andere künstlerische Zeugnisse illegal aus dem Konzentrationslager herausgebracht wurden. In Ravensbrück ist Kunst entstanden – wir wollen deshalb dazu ermutigen, sich mit der Geschichte auch kreativ auseinanderzusetzen.
Kunst und Menschenrechte
Poesie und Kunst schlagen außerdem den Bogen zum Thema „Menschenrechte“. Denn unter den 30 individuellen Rechten, die die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“der Vereinten Nationen festhält, werden ausdrücklich das Recht auf die eigene Stimme und Meinung, auf kulturelle Selbstentfaltung, auf ein Leben in freiheitlicher Selbstbestimmung und Selbstachtung betont. Artikel 19 etwa lautet: „Das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir alle dürfen uns unsere eigene Meinung bilden und denken, was wir wollen. Und wir dürfen sagen, was wir denken, und uns mit anderen über unsere Ideen unterhalten.“ (Die in diesem Projekt zitierten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind eine vereinfachte Fassung des Originalwortlauts, damit insbesondere junge Menschen einen Zugang finden, vgl. http://de.youthforhumanrights.org).
Es handelt sich um unveräußerliche Rechte, wie der letzte Artikel betont: „Niemand kann uns diese Rechte und Freiheiten wegnehmen.“ (Artikel 30)
Das Engagement für die Menschenrechte und die Menschenwürde und deren Schutz sollte weder einfach nur vom Staat erwartet, noch rein egoistisch gefordert werden. Vielmehr sind Mittel und Wege gefragt, sich für andere und deren Rechte und Freiheiten einzusetzen: „Verantwortung. Wir alle haben auch Pflichten gegenüber anderen Menschen. Wir sollten deren Rechte und Freiheiten schützen.“ (Artikel 29)
Zur Verteidigung von Menschenrechten werden in vielen Kontexten Musik und künstlerische Zeugnisse ein gesetzt. Kunst ist nicht nur ein Ausdrucksmittel, mit dem personale Identität gezeigt und mitteilbar gemacht werden kann. Die Geschichte zeigt, dass künstlerisches Engagement immer schon auch ein Instrument im Kampf für die Menschenrechte war. Besondere Dienste erwies die Kunst denjenigen, die die Verletzung der Menschenwürde anprangerten, sie festhalten, erinnern und damit vergegenwärtigen wollten. Die künstlerischen Zeugnisse aus Gefängnissen und Konzentrationslagern sind hierfür ebenso Beispiele wie die Musik der Sklaven.
Politische Veränderung läuft oft über Kunst. Über Musik und Bewegung, Sprache, Farben und Formen können Missstände wie Sehnsüchte benannt, bewahrt und vermittelt werden. Schließlich verweist Kunst, also die kreative, künstlerische Auseinandersetzung mit Geschichte und Menschenrechten, direkt in die eigene Lebenswirklichkeit und in die gegenwärtige Gesellschaft.
Ziele
Die Paarkarten wie das Projekt insgesamt sollen Aufmerksamkeit dafür wecken, wie Kunst und Musik als Mittel eingesetzt werden (können), um politische Veränderungen herbeizuführen, um angesichts entwürdigender Lebensbedingungen und Menschenrechtsverletzungen die eigene Würde zu behaupten oder überhaupt erst zu entwickeln. Eine bedeutende Rolle spielt es dabei, einen Ich-Standpunkt zu finden, von dem aus das Du in den Blick genommen werden kann. Bei der Beschäftigung mit künstlerischen Zeugnissen, die im Konzentrationslager entstanden sind, gilt es auch, die ursprüngliche Bedeutung in den Blick zu bekommen, die die Kunst für die Urheberinnen und Urheber hatte. Oft handelte es sich um eine Abgrenzung gegenüber denjenigen, die die Menschenwürde verletzten. Immer dokumentieren künstlerische Äußerungen den Kampf um Würde, mitunter wird die Kunst zur Waffe im Kampf um Meinungsäußerung, um
elementare Menschenrechte. Auch für andere in den Paarkarten gezeigte Beispiele ist der Blick auf den Entstehungskontext wichtig. Wenn musikalische, tänzerische, sportliche, künstlerische Äußerungen von ihrem Ursprung losgelöst und zu kommerziellen Produkten gemacht werden, wird das Politische leicht zu Folklore und zum Klischee.
Mit den hier entwickelten Paarkarten sollen Möglichkeiten geschaffen werden, miteinander ins Gespräch zu kommen über Kunst und Welt. Die Jugendlichen können kennenlernen, wie andere die Erfahrung von Empörung und Ohnmacht über die Form der Kunst und Musik in würdevolles Handeln umgesetzt haben. Sie werden dazu aufgefordert, die bebilderten Themen zu beschreiben, und können dabei erkennen, dass Gefühle eine (Ausdrucks-)Form finden, die mitgeteilt und geteilt werden kann. Ebenso können sie die jeweilige Rolle von Gemeinschaft reflektieren.
Die Paarkarten sollen dabei helfen, eine eigene Definition von Menschenwürde sowie eine Funktionsbeschreibung von Kunst als Mittel im Kampf um Menschenrechte zu entwickeln.
Das Spiel ist als Möglichkeit gedacht, in das historische Lernen einzusteigen und erste Verbindungen zum Thema Menschenrechte und Menschenwürde zu knüpfen.
Einige Bilder greifen bereits Material auf, das in den Unterrichtsbausteinen eine Rolle spielt. Doch eignet es sich auch für Unterrichtseinheiten, die sich explizit und weiterführend mit Menschenrechtsthemen befassen.
Themen der Karten
Insgesamt stehen 36 Bilder und entsprechende Texttafeln zur Verfügung. Es handelt sich um Bildmaterial mit Kommentaren zum Thema „Erinnerung, Kunst & Menschenwürde“.
Folgende Themen werden aufgegriffen:
- Geschichtliche Aspekte (zum Beispiel Sklaverei oder Kunst im KZ)
- Umgang mit Minderheiten und deren Menschenrechten (Polen, Sinti und Roma, Kurden, Behinderte), insbesondere die Sicherung ihrer menschenwürdigen Lebensgrundlagen.
- Kunstformen und deren Bedeutung im individuellen oder kollektiven Selbstausdruck und im Kampf um Menschenwürde (Musik, Malerei und Tanz als auch Kampfkunst)
- Beispiele zur Verletzung der Menschenwürde im Schulumfeld bieten Gelegenheit, die eigene Lebenswelt, insbesondere die Grenzen von Meinungsfreiheit, zu reflektieren.
- Themen, die rund um den Schmuggelfund relevant sind oder, in der weiteren Besprechung gegenwärtiger menschenrechtlicher Fragen, werden könnten, darunter Diskriminierung mit unterschiedlichen Methoden (bis in die heutige Lebenswelt), Sklavenarbeit und Gefangenschaft, das Anprangern massiver Unterdrückung und grausamer Behandlung, Versuche der Besinnung auf eigene Werte und Wertigkeit, das Einfordern von Meinungsfreiheit und der Sicherung menschenwürdiger Lebensgrundlagen sowie vielfältige Versuche der Selbstbehauptung und des Selbstausdrucks über Kunst.
Lernziele:
- Kennenlernen, wie andere die Erfahrung von Empörung und Ohnmacht über die Form der Kunst und Musik in würdevolles Handeln umgesetzt haben.
- Beschreiben können der bebilderten Themen
- Erkennen, dass Gefühle eine (Ausdrucks-)Form finden, die mitgeteilt und geteilt werden kann.
- Reflektieren der jeweiligen Rolle von Gemeinschaft
- Entwickeln einer eigenen Definition von Menschenwürde, die nach Wolfram Höfling u. a. folgende Aspekte umfasst:
1. Leben in körperlicher Unversehrtheit (Achtung und Schutz der körperlichen Integrität)
2. Leben in sozialer Gerechtigkeit (Sicherung menschengerechter Lebensgrundlagen)
3. Leben in einem rechtlich gleichwertigen Status, ohne demütigende Ungleichbehandlungen (Gewährleistung elementarer Rechtsgleichheit)
4. Leben in freiheitlicher Selbstbestimmung und Selbstachtung, so wie man sich in seiner Individualität selbst begreift (Wahrung der personalen Identität)